Dr. Papageorgiou: “Frau Drossou, herzlich willkommen beim Talk am Hirschgraben. Ich stelle Sie kurz vor: Sie sind Architektin und Gründerin von dARCHstudio. Ich weiß sehr gut, dass Sie gerade von Rhodos nach Athen gezogen sind, und ich freue mich, dass Sie es geschafft haben und wir heute unser lang geplantes Gespräch führen können. Eigentlich hatten wir geplant, uns zuerst in Berlin zu treffen, dann in Athen, dann auf Rhodos, und jetzt ist es eben doch Athen geworden. Und zwar nicht irgendwo in Athen, sondern im Stadtteil Kypseli, dem am dichtesten besiedelten Stadtteil, wo sich die meisten Hochhäuser befinden, aber auch die meisten klassizistischen, denkmalgeschützten Gebäude. Für mich ein krasser Gegensatz zwischen dem Hässlichen und dem Schönen. Auch die unzähligen engen Gassen zwischen all diesen Gebäuden. Als gebürtiger Kölner empfinde ich das Stadtgefüge als sehr dicht. Mein Vorschlag ist, Athen braucht erstmal eine Fettabsaugung, also die Baumasse reduzieren und dann sicherlich Botox, um sich abzukühlen.„
Frau Drossou: “Vielen Dank für Ihre Einladung. Ja, Athen würde, wie viele andere Städte auch, viel besser mit Fettabsaugung und Botox zurechtkommen. Aber Spaß beiseite. Ich würde eher sagen, dass es eine interessante Koexistenz zwischen diesen beiden Typologien durch ihre Gegensätzlichkeit gibt. Obwohl mehrstöckige Gebäude – Polykatoikias – das Stadtbild von Attika dominieren und ein sehr homogenes Bild abgeben. Es sieht eintönig, in gewisser Weise rau und hässlich aus, aber aus architektonischer Sicht hat es eine einzigartige Qualität. Eigentlich besteht es aus vielen kleinen Wohnblocks. Man darf nicht vergessen, dass Athen nie auf der Grundlage eines Gesamtplans entworfen wurde. Sowohl beim Neoklassizismus als auch später bei den Wohnblöcken wurden spontane Eingriffe der Bürger ohne Gesamtkonzept vorgenommen.„
Dr. Papageorgiou: “Frau Drossou, Sie haben in den letzten Jahren in Berlin gelebt. Was ist der Unterschied zwischen Athen und Berlin und was sind Ihrer Meinung nach die Gemeinsamkeiten?„
Frau Drossou: “Das Gute an Berlin ist, dass „groß“ gedacht und gehandelt wird, also in großem Maßstab! Zumindest denken sie über die großen Fragen der Stadt nach. Sie handeln auf jeden Fall organisierter und kollaborativer, und das eröffnet auch neue Felder für Experimente, Möglichkeiten und Qualitäten im öffentlichen Raum. Das findet man in Griechenland kaum. Leider fehlt in Griechenland immer noch der Geist des kollektiven Denkens und der Interventionen auf städtischer Ebene. Aber Athen hat etwas Magisches an sich, und was ich nach meiner Rückkehr aus Berlin wirklich zu schätzen gelernt habe, ist die Beziehung zwischen der monotonen städtischen Struktur der Wohnblocks und der natürlichen Topografie, den Hügeln von Athen. Es ist ein magisches Bild, wie sich die Hügel und Berge von der städtischen Struktur abheben und sie in vielen Ansichten überraschend unterbrechen. Ohne die Berge und den Bezug zum Meer hätten wir eine unhaltbare, erdrückende Stadtstruktur. Andererseits ist in Berlin alles flach, aber die städtischen Leerräume, die Parks, die Grünflächen sind sehr wichtig und das ist es, wie Berlin atmet.„
Dr. Papageorgiou: “Also, Berlin wäre eher eine flache Atmung und Athen eine Schnappatmung.„
Frau Drossou: “Das kann man so sagen. Was ich an beiden Städten liebe ist, dass sie beide originell und ehrlich, rau und lebendig, laut und multikulturell sind. Natürlich haben sie viele Probleme, aber sie haben es im Laufe der Zeit geschafft, durch die Schichten ihrer Geschichte Vielfalt und Unterschiedlichkeit zu entwickeln. Sie haben beide eine charmante Persönlichkeit, finde ich.„
Dr. Papageorgiou: “Sie sind Architektin und seit fast zwanzig Jahren selbständig tätig. Als Frau, und auch als Mutter, in einer schwierigen Stadt wie Athen. Das klingt nicht einfach. Erzählen Sie uns, wie Sie sich so schnell selbstständig gemacht haben und wie Sie es immer noch geblieben sind. Griechenland, in diesem Fall Athen, ist Ihr Standort, und wie wir alle wissen, hat Athen nicht nur eine unglaublich lange und wichtige Geschichte, sondern auch eine unglaublich lang anhaltende Wirtschaftskrise. Ich würde sagen, Athen hat sich seit 2012 nie wirklich erholt.„
Frau Drossou: “Ja, in der Tat. Als ich mein Studium in Thessaloniki beendet hatte, stürzte ich mich hoch motiviert und optimistisch in die Praxis. Es war damals 2004, Athen boomte, wir hatten die Olympischen Spiele, Griechenland gewann die Fußball-Europameisterschaft, das Wirtschaftswachstum war sichtbar, alle lächelten und blickten zuversichtlich in die Zukunft. Ich hatte das Glück, meinen ersten Job in einem der führenden Architekturbüros in Athen zu finden, und was für ein traumhafter Zufall, 10 Meter entfernt von meiner damaligen Wohnung in Kypseli. Die Arbeit war hart, sehr zeitaufwendig. Ungeachtet des Drucks durch verschiedene Parameter wie die Vorgaben des Kunden, die Fristen und die Kosten, akzeptierten meine Arbeitgeber nur die beste Lösung. Wir arbeiteten an jedem Projekt so detailliert, als ob es sich um ein interdisziplinäres Forschungsprojekt handelte. Aber am Ende zählte nur das Ergebnis und nicht die aufgewendete Zeit. Gute Qualität macht beide glücklich, den Bauherrn und den Architekten. Nach nur einem Jahr gründete ich mein eigenes Architekturbüro, dARCHstudio, das ich bis heute führe, mit Büros in Athen und Rhodos. In den letzten Jahren ging es etwas langsamer voran. Wie Sie bereits erwähnt haben, habe ich jetzt zwei Kinder, so dass die Zeit ein noch größerer Faktor wird. Ich musste zeitlich noch flexibler werden.„
Dr. Papageorgiou: “Was, glauben Sie, war das Wichtigste, das Sie von Ihrem Arbeitgeber gelernt haben?„
Frau Drossou: “Wahrscheinlich, dass ich jedes Projekt im Kontext seiner eigenen Bedürfnisse, mit Sensibilität und Ehrlichkeit angehen sollte. Der Kunde muss das Gefühl haben, dass er in guten Händen ist.„
Dr. Papageorgiou: “Da haben wir einige Parallelen und einen zentralen Unterschied, zwischen der plastisch-ästhetischen Chirurgie und der Architektur. Natürlich geht es um das Ergebnis, aber bei uns geht es auch um den Prozess. Zum Beispiel muss eine Bauchdeckenplastik, bestehend aus den Schritten: 360 Fettabsaugung, Schnitt, Anhebung der Bauchdecke bis zum Sternum, Verdoppelung der Rektusdiastase, Wundverschluss mit Nabelreimplantation in kürzester Zeit durchgeführt werden. Nicht, damit wir zwei weitere Operationen am gleichen Tag durchführen können, sondern zum Wohle des Patienten, denn eine Minimierung der Operationszeit (kurze Operationszeit) minimiert die Belastung für den gesamten Organismus des Patienten (geringe Patientenbelastung). Es ist ein Balanceakt. Man darf sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten, sondern muss schnell und zielorientiert operieren. Ich denke, das Wichtigste ist zu wissen, was eine Nebensache ist und was nicht.„
Frau Drossou: “Zum Glück leidet der Ziegel in unserem Fall nicht unter der Operationszeit. Er ist stabil und bleibt es auch danach. Er ist resistent gegen die Zeit, natürlich muss eine Operation korrekt und so schnell wie möglich durchgeführt werden, aber in der Architektur ist das anders. Für mich ist es wichtig, ein starkes und klares Konzept zu entwickeln, das auf jedes Projekt zugeschnitten ist. Das ist nur durch Recherche und Analyse möglich. Und ja, ich nehme mir diese Zeit, auch unter dem Druck des Auftraggebers, der natürlich am liebsten alles sofort fertig haben möchte (lacht). Und so wie Sie als Arzt die Einzigartigkeit eines jeden Menschen mit seinen besonderen Eigenschaften und Bedürfnissen hervorheben wollen, sind auch wir auf die Kunden angewiesen. Der zufällige Auftrag eines jeden Kunden und die besonderen Design-Parameter kommen zusammen, um eine Idee, ein Gefühl und alles zusammen die Identität des Designs zu bilden. Mein erstes international bekanntes Projekt „Papercut“ entsprach dem Bedarf an einem neuen Look für den Concept Store des griechischen Modedesigners Eleftheriades. Das Budget war gering. Die Idee eines einfachen Designs, bei dem billige und gefundene Materialien zum Einsatz kommen, hat das Interieur dramatisch verändert. 15 Tage lang zogen die Architekten des Studios, Freiwillige und Künstler in den Laden um, wo alle Arbeiten vor Ort ausgeführt wurden. Ich will nicht verschweigen, dass ich eine Nacht auf der Baustelle geschlafen habe. Es war eine verrückte Arbeit, aber das Ergebnis war es wert.„
Dr. Papageorgiou: “Wir hören nicht viel von Ihnen, aber alle 1 bis 2 Jahre bringen Sie etwas heraus, das international veröffentlicht wird. Ich weiß noch, wie überrascht ich war, als unter Ihrer Leitung meine Praxis auf Rhodos es in die weltweite Architekturpresse schaffte, zum Beispiel in das Dezeen Magazine. Ich glaube, dass dort bisher nur 4 oder 5 Arztpraxen vorgestellt wurden.„
Frau Drossou: “Ich habe Ihnen gesagt, dass es etwas Besonderes sein würde. In Anbetracht der Fristen versuche ich immer, jedem Projekt die Zeit zu geben, die es braucht, um zu reifen. Wir brauchen in allem Präzision, um ein qualitativ hochwertiges Werk zu schaffen. Und Qualität ist so etwas wie Ästhetik, sie ist zeitlos und unterliegt nie einem Trend.„
Dr. Papageorgiou: “Glauben Sie, dass Qualität und Erfolg zusammengehören?„
Frau Drossou: “Ja und nein. Qualität ist zeitlos. Erfolg kann auch eine Art Sternschnuppe sein. Um erfolgreich zu sein, muss man in der Regel über viele Jahre hinweg Qualitätsarbeit leisten. Zumindest war das früher so. Mit dem technologischen Wandel und der Globalisierung gibt es Beispiele, bei denen die Sternschnuppen länger leuchten als früher.„
Dr. Papageorgiou: “Um Qualität zu erreichen, ist Zeit also ein wichtiger Faktor, denn für Sie beginnt jeder Projektfall bei Null.„
Frau Drossou: “Ja, sicher. Mein Ziel ist immer etwas Einzigartiges, und deshalb nehme ich mir Zeit, um mich mit dem Projekt und seinem Kontext zu verbinden. Architektur ist von Natur aus chaotisch, mit all den willkürlichen Parametern, die wir beim Entwurf berücksichtigen müssen. Genauso chaotisch ist das Tempo unseres heutigen Lebens. Deshalb versuche ich, mich bewusst auf den Prozess und die Identität des Projekts zu konzentrieren und nicht auf einen bestimmten vorgezeichneten Weg oder eine feste Ästhetik. Was mich trotz der restriktiven Regeln des Berufs reizt, ist, die Realität mit einem freieren Blick zu sehen. Dann kann jedes Projekt seine eigene Geschichte erzählen.„
Dr. Papageorgiou: “Ihr Ansatz gefällt mir. Vielen Dank für unser Gespräch.„